Gangbildanalyse beim Hund
Die Gangbildanalyse beim Hund liefert wichtige Hinweise, welche Gliedmaßen und Gelenke ein Hund entlastet. Sie kann so helfen, die Ursache der Schmerzen zu erkennen. Nötig ist nur ein geschultes Auge und Erfahrung. Die Gangbildanalyse ist ein Teil der Lahmheitsuntersuchung beim Hund. Sie bietet aber auch Hinweise auf weitere Schmerzgeschehen beim Hund. So verändert sich die Körperhaltung eines Hundes ebenfalls bei Schmerzen im Brust- oder Bauchraum oder der Wirbelsäule.
Die Gangbildanalyse liefert einen Eindruck, wie ein individueller Hund seinen Körper benutzt - und was er vermeidet zu benutzen. Eine Lahmheitsuntersuchung beim Hund (mit den Provoktionsproben, die Schmerzpunkte der Gelenke finden sollen), untersucht die Beine und Pfoten.
Neue Erkenntnisse mit modernster Technik
Möglich wurden viele Erkenntnisse erst durch die Forschungsgruppe um Professor Dr. Martin Fischer, Zoologisches Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 327 Hunde aus 32 Hunderassen wurden dazu auf einem Laufband mit modernster Röntgentechnik durchleuchtet - in der Bewegung. So konnten die tatsächlichen Bewegungen der Gliedmaßen dargestellt werden. Die Bewegungen des Hundeskeletts wurden dann gefilmt.
Diese Untersuchung mit dem Röntgen-Durchleuchter ist deutlich genauer als die bisher üblichen Videoaufnahmen, bei denen Gelenke auf der darüber liegenden Haut mit Leuchtpunkten markierte. Bei Bewegung aber verschiebt sich die Haut. Sie entfernt sich von der tatsächlichen Gelenkposition.
Ergebnisse der Gangbildanalyse beim Hund:
- Die Mechanik des Skeletts gleicht sich sehr stark zwischen verschiedenen Rassen. Egal ob Dogge oder Chihuahua, Hunde laufen ähnlich. Die individuellen Unterschiede sind größer als die zwischen verschiedenen Rassen.
- Der Motor der Hunde liegt in den Hinterbeinen. Im Schritt und im Trab bremsen die Vordergliedmaßen mehr, als sie für Vortrieb sorgen. Die Gliedmaßen "pendeln" um einen Drehpunkt. Dieser Drehpunkt liegt im Hüftgelenk und beim Vorderbein im oberen Drittel des Schulterblattes. So liegen beide Punkte sehr hoch und auf einer Höhenlinie. So erreichen Hunde mit geringstmöglicher Auslenkung um die Drehpunkte (Schulterblatt, Hüftgelenk) eine größtmögliche Vorwärtsbewegung. Das ermöglicht Hunden in den Gangarten Schritt und Trab eine sehr energie-effiziente Fortbewegung: Hunde brauchen nicht viel Energie zum Laufen.
- Schulterblatt und Unterarm sowie Oberschenkel und Hinterfuß werden weitestgehend gleichsinnig und parallel bewegt. In den Grundgangarten Schritt, Trab, Galopp findet im Schultergelenk, im Ellenbogen, Kniegelenk und Sprunggelenk kaum Bewegung statt.
- Weil die Gelenke sich nicht viel bewegen, werden in diesen Grundgangarten (Schritt, Trab, Galopp) bestimmte Gelenkflächen dauerhaft vermehrt belastet. Entsprechend dieser einseitigen Belastung findet man stark unterschiedlich Knorpeldicken in ein und demselben Gelenk: dickeren Knorpel in Bereichen mit stärkerer Belastung, dünneren in Bereichen geringerer Belastung. (Arthrosen entstehen meist am Rand, in den Bereichen geringer Belastung, siehe Unten. Zu dick ist aber auch nicht gut.)
Folgen aus der Bewegungsanalyse beim Hund
Gelenkprobleme wie Arthrosen entstehen oft eher durch Unterforderung oder einseitige Belastung als durch Überforderung. Ausgewogene freie(!) Bewegung lässt gelenkstabilisierende Strukturen reifen. Das gilt auch für den Gelenkknorpel.
- Einförmige Bewegungen (Schritt u. Trab an der Leine oder am Fahrrad) belasten die Gelenkstrukturen einseitig. Sie führen so (mitverantwortlich) für die beschriebenen Unterschiede in der Knorpeldicke der Gelenkflächen. Zu dicke Knorpel aber können nicht versorgt werden - ein Mechanismus, der zur pathologischen Gelenkveränderungen (Osteochondrosis dissecans, OCD und Ellbogendysplasie) führen kann.
- Freie Bewegung (Herumtollen, Freilauf, Rennspiele u.ä.) sorgen dafür, dass aller Gelenk- und Knorpeloberflächen gebraucht werden. Die Unterschiede in der Knorpeldicke verringern sich.
- Knorpelgewebe ist nicht durchblutet. Es wird lediglich durch „Massageeffekte“ in der Bewegung versorgt, durch die Abfolge Belastung-Entlastung. Die so ausgelösten Pumpvorgänge versorgen den Knorpel mit Nährstoffen aus der Gelenkflüssigkeit. Das ist ein passiver Vorgang, abhängig von der Güte und Art der Bewegung. (Wie ein Schwamm, der ausgedrückt wird und wieder ins Wasser getunkt wird. Schmutz bleibt im Schwamm hängen ...)
- Die Muskelreife ist im Alter von 8 Wochen abgeschlossen (die Reifung der Nerven noch nicht). Die Muskelzellen sind dann vorhanden und können trainiert werden. So ist die Empfehlung für eine deutliche Bewegungseinschränkung von Welpen, besonders bei großen Rassen, wohl kritisch zu sehen. Freie Bewegung scheint für die gesunde Entwicklung des Welpen- und Junghundeskeletts von großer Wichtigkeit zu sein.
- Ein Geschirr, das auf das Schultergelenk drückt und die Bewegung des Schulterblattes behindert, stört die freie, gesunde Bewegung des Vorderbeines massiv.
Folgerungen:
Vom Welpen bis zum Senior gilt: „Wer rastet, der rostet“.
Nicht nur für Vierbeiner!
Quelle: Prof. Dr. Martin S. Fischer, Animal-Info Seminar: Verhalten, Physiologie und Anatomie des Hundes, eine faszinierende Reise durch den ganzen Hund, besonders dessen Bewegungssystem, sowie seine Organe und ihre Funktionen